IM SEIDENUNIVERSUM VON HERMÈS

von Judith Bradl

Königinnen, Fürstinnen, Hollywoodschauspielerinnen und Modeikonen: Sie alle trugen und tragen die berühmten und zeitlosen Seidentücher aus dem etablierten französischen Modehaus Hermès.

Hermès steht mit seiner hochwertigen Produktion seit der Gründung im Jahr 1837 für Luxus, Qualität, Prestige und Kunsthandwerk. Die Produktion des klassischen Carré, einem Seidentuch im Format von ca. 90 x 90 cm, begann 100 Jahre nach der Entstehung der Maison im Jahr 1937. Rasch avancierte das Tuch zu einem modischen Schmuckstück, das sich vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren durchsetzte. Die mondäne Dame trug das Tuch zu jeder Gelegenheit und ließ ihrer Stylingfantasie freien Lauf. Zu den prominenten Trägerinnen zählten unter anderem Audrey Hepburn, Grace Kelly, Jackie Kennedy und Liz Taylor; selbst Queen Elizabeth II. trug zur Bekanntheitssteigerung des schicken Klassikers bei.

Die Etablierung des Carré steht im Zusammenhang mit der Unternehmensgeschichte des französischen Luxuslabels, das auf einen Visionär zurückzuführen ist. Die Familie von Thierry Hermès musste das deutsche Krefeld wegen ihres Glaubens verlassen und so eröffnete Sattlermeister Thierry im Jahr 1837 in Paris ein eigenes Geschäft für Sattel und Zubehör. Sein Sohn und Nachfolger, Émile-Maurice Hermès, zog in die luxuriöse Rue du Faubourg Saint-Honoré und erweiterte das Sortiment um Reisetaschen, Kleinlederwaren, Schmuck und Uhren. Bis heute stehen die Designs sowie das Logo der Produkte in Bezug zu jener Entstehungsgeschichte. Vor allem die Seidenkreationen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Unternehmenshistorie.


Vom Entwurf bis zum fertigen Carré vergehen im Schnitt zwei Jahre. Die Tücher werden in einem aufwändigen Siebdruckverfahren und mit handrollierten Säumen bedruckt. Abgesehen von der künstlerischen Schöpfung und den einzigartigen Designs fungieren die Carrés wie narrative Traumfänger: Jedes Tuch erzählt mit seinem Titel und seiner zeichnerischen Fantasie ein visuelles Märchen. Das Seidencarré erfindet sich immer wieder neu und wird mittler-weile beidseitig bedruckt. Mit großer Begehrlichkeit warten die Sammlerinnen auf neue Kollektionen. 450 km Faden aus etwa 300 Seidenkokons der brasilianischen Maulbeerseide werden in Frankreich weiterverarbeitet. In bis zu zwölf Farbvarianten werden die Neu-, aber auch die Re-Editionen produziert.
Bei den Illustrationen handelt es sich meist um Embleme des Hauses Hermès, die vom Designer in Szene gesetzt und auf fantasievoll-futuristische Weise verwandelt werden. Zu den beliebtesten und zugleich raren Motiven zählen klassische Pferdedarstellungen von Hermés, historisch-ethnische Episoden, besondere Anlässe sowie Feierlichkeiten, Reiterskelette, Wildblumen, Roboter-spinnen, astrologische Konstellationen und verfremdete Geometrien. Der neue Druck wird durch Siebdruck auf den Bildschirm anhand der Seidenbilddekoration übertragen. Ein ganzes Team von Spezialisten mischt Farben mit der Hand und wählt für jeden Schal verschiedene Farbtöne aus. Jedes Design des Carré ist in mindestens fünf Farben erhältlich. Aufgrund der qualitativen Garantie sowie der einzigartigen und farbenfrohen Designs bewahren viele Sammlerinnen ihre Tücher wie Kunstwerke auf; nicht selten rahmen sie diese ein.


Im Jahr 2017 hat die Schweizer Künstlerin Nives Widauer sieben Carrés genauer unter die Lupe genommen. Aus jenen sieben Seidentüchern entstand die Serie »Seven Human Things«, in der die sieben Todsünden untersucht und widergespiegelt werden. Widauer übernimmt in ihrem Werk die Farbpalette sowie die Konstruktion der Hermès-Tücher und verwendet diese für die Stickereien am unteren Bildrand.

Ihre Arbeit beweist, dass ein Carré Botschaften übermittelt und zugleich Emotionen auffängt. Die Kunst und Kreativität wird außerdem im Hermès Carré Club ausgelebt. Im Zuge eines internationalen Ausstellungsformats in Städten wie Paris, Mailand, New York und Dubai können Besucher:innen in eine verspielte Fantasiewelt eintauchen und das Design in all seinen Ausdrucks-formen feiern. Im Carré Studio, dem Herzstück der Veranstaltung, treffen die Gäste Illustrator:innen sowie Designer:innen und schauen diesen bei ihrer kre-ativen Handarbeit über die Schulter. Das Carré offenbart sich in Carré Stories; im Carré Knot werden Sammler:innen, Seidenliebhaber:innen und Neugierige in die Kunst des Bindens eingeführt. Außerdem wird das Ganze von einer thematischen Begegnungs- und Dialogreihe umrahmt. Das Carré belebt in seiner vielschichtigen Form und als Designfeuerwerk Geschichten aus der Vergangenheit und bewegt zum Austausch über Form und Farbe.

Alle Fotos: Judith Bradl