Das Yves-Klein-Faszinosum im Dialog mit Schiaparellis Couture.
Beim Betreten der aktuellen Guy-Bourdin-Ausstellung in der Mailänder Armani-Silos-Sammlung zielt mein Auge instinktiv auf eine kleinformatige und ausdrucksstarke Fotografie mit dem Titel »Once in a blue moon« aus dem Jahr 1972.
Once in a blue moon, fotografiert von Guy Bourdin, September 1972. Bis 19. November 2023 in der Armani Silos- Ausstellung mit dem Titel ‚Guy Bourdin: Storyteller‘ zu sehen. © The Guy Bourdin Estate, Courtesy of Louise Alexander Gallery
Der Storyteller und Modefotograf Guy Bourdin hat für jene Fotoserie mit der Stilikone und ehemaligen Vogue-Kreativdirektorin Grace Coddington zusammengearbeitet. Coddington erinnert sich in diversen Interviews daran, dass dem Fotografen während jenes Shootings am Meer das Wasser nicht »blau genug« war; und so fügte er dem Wasser eine kräftige blaue Ölfarbe hinzu. Bei Konzentration auf die Farbstruktur wird man beinahe sanftmütig und ruhig. Die Ruhe scheint sich aus der Natürlichkeit und der tiefen Reinheit zu erschließen. Die enorme Strahlkraft des Bourdin’schen Ultramarinblau nistet sich für eine Weile in mein Gedächtnis ein.
Später erfahre ich, dass die Farbe Blau – bezogen auf das Blau des reinen Wassers sowie auf das Blau der Himmelssphäre – bereits von den Ägyptern als Symbolik des Lebensursprungs und der Hoheit gedeutet wurde. Sowohl die Ozeane als auch der Himmel erschienen der Menschheit seit jeher als blau. Deshalb haben sich genauso viele Künstler sowie Modeschöpfer mit dem blauen Farbpigment beschäftigt und jene Farbtonalität kreativ erforscht sowie auf fantasievolle Art und Weise interpretiert. Die Ägypter schätzten den Farbton sehr. Sie verwendeten ihn für Keramiken und Statuen, um die Gräber ihrer Pharaonen zu schmücken. Die Farbe war im gesamten Römischen Reich beliebt und wurde bis zum Ende der griechisch-römischen Zeit produziert und verwendet. Äußerst geschätzt wurde die blaue Farbe ebenso vom französischen Maler, Bildhauer und Performancekünstler Yves Klein, der auf eine metaphysische Verbindung von Kunst und Natur setzte. Klein gründete in seinen zahlreichen Werken einen authentischen Dialog mit der Natur. Das grenzenlose Blau des Meeres und des Firmaments hat er seit seiner Jugend verinnerlicht. Im Jahr 1947 erklärte er als 19-Jähriger den Himmel zum »ersten und größten Monochrom«, zum »immateriellen Gemälde« und zu »seinem ersten Kunstwerk«. Früh begann er mit der psychologischen Wirkung von Farben zu experimentieren. Seine Wahl fiel schließlich auf das dunkle Ultramarin, besser bekannt als das kostbare Fra-Angelico-Blau, das früher aus Lapislazuli hergestellt wurde; später hat Klein seine Palette um Karminrosa und Feingold erweitert. Yves Kleins Arbeit RE 1 – Relief Éponge Bleu bzw. blaues Schwammrelief – ist ein »blaues Paralleluniversum« respektive eine im Ultramarin versunkene Welt, die an einen fernen Meeresgrund oder an einen fremden Planeten denken lässt und eine der Welt entrückte außerterrestrische Immaterialität voll friedlicher Stille und übernatürlicher Ruhe ausstrahlt. Um strukturlose, monochrome Farbflächen zu erreichen, trug Yves Klein die Farbpigmente anfangs mit Farbwalzen, später mit Naturschwämmen auf. Die Schönheit der mit International Klein Blue (IKB) vollgesaugten Schwämme lässt ihn ab 1957 Schwammskulpturen und ab 1958 mit Kieselsteinen kombinierte Kompositionen – sogenannte Schwammreliefs – erschaffen.
Lanvin-Vintage Kleid (aus der Sammlung von Comtesse Marie-Josette de Montgelas) trifft auf Yves Klein’s RE1 (Relief éponge bleu), 1958, in der Wiener Heidi Horten Sammlung. Klein verwendete für das Werk blaues Pigment, Kunstharz sowie Naturschwamm auf Leinwand. © Judith Bradl
Ähnlich wie Bourdins Arbeit wirkt Kleins Schwammrelief genauso beruhigend und therapeutisch auf mich. Inspiriert von der blauen Wirkungskraft, bringt Schiaparelli-Kreativdirektor Daniel Roseberry bei der Haute-Couture-Show in Paris – Schiaparelli Couture, Herbst-Winter 2023 – seine Models und deren Make-up in einen kreativen Dialog mit Yves Klein, indem er den blauen Farbton in diversen Looks verwendet und neu interpretiert.
Die von Pat Mc Grath aufgetragenen Farbpigmente, bauen auf einen Dialog mit Yves Klein’s Konzipierung der Model-Körper als performative Instanz der Kunstproduktion. Backstage bei Schiaparelli Couture Herbst-Winter 2023, in Paris. © Acielle, Style du Monde
Einige Couture-Ausführungen vermischt er gekonnt mit Goldelementen, so wie bereits Yves Klein den kontrastierenden Dialog von blauen und goldfarbenen Tonrichtungen anregte. Roseberrys Interpretation und innovative Adaptierung des Blautons in der Welt der hohen Schneiderkunst hätte Elsa Schiaparelli sicherlich befürwortet. Schließlich ist es Roseberrys Absicht, die Kunstaffinität der Gründerin der französischen Maison, aufrechtzuerhalten und so weit wie möglich zu deklinieren. Elsa Schiaparelli pflegte während ihrer Schaffenszeit freundschaftliche sowie berufliche Beziehungen zu diversen Künstlern, wie beispielsweise Jean Cocteau, Cecil Beaton, Man Ray und Salvador Dalí. (Der surrealistische Maler war im Atelier der Schiaparelli ein gern gesehener Stammgast und Freund der Designerin. Zusammen erschafften sie das berühmte Kleid Aragosta, den Hutschuh mit Absatz aus rosa Samt, den Hut in Form eines Lammkoteletts mit einer weißen Rüsche am Knochen, den Schreibtischmantel mit Taschen sowie Schubladen. Die extravaganten Kreationen tragen haben dazu beigetragen, dass Schiaparellis exzentrischer Ruf gewachsen ist und ihre Designs stets mit einem kultivierten Pariser Milieu assoziiert werden).
Schiaparelli galt zweifellos als Emblem einer kultivierten und intellektuellen Welt. In ihren Kreationen bearbeitete sie Frauenkörper und deren Kleidung mit Farben und Imaginationen, die die Schönheit der Kunst mit ihrer Philosophie des Außergewöhnlichen und Schockierenden vereinten. Auf ähnliche Art und Weise interpretierte Makeup-Artist Pat McGrath gemeinsam mit Daniel Roseberry die Couture-Kollektion im Juli 2023, indem McGrath das Antlitz sowie den Körper der Models als Leinwand auffasste und jene Fläche mit IKB-Pigmenten bemalte. Jene blauen Farbflächen wirken wie eine zweite Sphäre der Hautschicht, die von Pat McGrath als »blaue Überflutung« von Kinn bis Wangenknochen angedeutet wurden. Bei einigen Models erweiterte sie die ultramarinblaue Pigmentbesetzung bis hin zum Dekolleté oder gar bis zum Bauchansatz. Ziel war es, den Couture-Looks einen samtigen und zugleich intensiv-kraftvollen Ausdruck zu verleihen.
Blau und Gold harmonieren bestens und ergänzen sich gegenseitig; das verrät dieser Backstage-Eindruck der Schiaparelli Couture Herbst-Winter 2023 Schau in Paris. © Acielle, Style du Monde
Die Frauen der Surrealisten wie Gala Dalí, Nusch Éluard oder die adelige Kunstverfechterin Marie-Laure de Noailles trugen Schiaparellis schwarze Handschuhe mit den roten, aufgezeichneten Krallen, die auf Cocteau zurückgehenden Abendjäckchen, das mit einem Skelett versehene Abendkleid – das durch die Wirkung von Röntgenstrahlen dem Rippenmuster folgt –, den Badeanzug mit einem in Bauchhöhe sich windenden Fisch sowie die mit von Matrosentattoos inspirierten durchstochenen Herzen und Schlangen versehenen Pullover. Die exzentrische und visionäre Schiaparelli war überzeugt, dass die Kunst der Haute Couture in der kreativen Wandelbarkeit und im Ausdruck der Gefühlswelt liegt. 1936 brachte sie ihr Parfüm heraus. Und als sie für jenes Name und Farbe aussuchen musste, erfand Elsa den Farbton »Shocking«, der von der Tonart her Rosa ist, jedoch von ihren Zeitgenossen und Künstlerfreunden als brillant, unverfroren, heiter und voller Energie beschrieben wurde. Ihr zu Ehren bemalte Dalí einen riesigen ausgestopften Bären mit Schubladen im Bauch in »Rosa Shocking«. Damit beweist sich erneut, wie kraftvoll die Welt der Farben ist. Farben verleihen innere Ruhe und versetzen gekonnt in eine bewegende Dramaturgie. Von jener Farbphilosophie machen nun – mehr denn je – Modeschöpfer und Couturiers Gebrauch.
Das Blau dieser Céline Hose aus Vinyl-Kunststoff, versprüht ohne Zweifel Energie und Ausstrahlungskraft; gefunden habe ich sie im Vintage-Archiv von Aloe&Wolf, in Siena. © Judith Bradl
Das blaue Missoni Kleid (Herbst-Winter 2020), im kontrastierenden Farb-Spiel mit dem hellblauen Firmament über Florenz. © Judith Bradl
Das italienische Modehaus Missoni verwandelt dieses Kleid aus der Herbst-Winter Kollektion des Jahres 2020, in eine imaginäre Yves Klein Leinwand. © Judith Bradl
Die italienische Modedesignerin Vivetta Ponti, zeigt bei ihrer Herbst-Winter Kollektion 2023, in Mailand, ein kobaltblaues Samt-Kleid. Damit eröffnet sich auch durch Ready-To-Wear Brands ein blaues Universum, welches vor allem in der kommenden Saison, aufblühen wird. © Isidore Montag, Gorunway
Ein ultramarinblaues Samt-Set vom Modelabel ‚Mukzin‘, aus dem Jahr 2022. © Judith Bradl
Yves Kleininspirierte Modestrecke, fotografiert von Eric Traoré, für Vogue Paris, 1998. © Eric Traoré