ÜBER DIE BLUMENÄSTHETIK DER 1970ER UND DIE FREIHEIT DES MIX & MATCH DER GEGENWART.

von Judith Bradl

Mix and Match« lautet bereits seit vielen Jahren das Stylingcredo der modeaffinen Social-Media-Generation. Das Phänomen der bunten und verspielten Farbmuster, in Kombination mit kontrastierenden Stoffen, und Komplementärfarben sowie einer unendlichen Bandbreite an aussagekräftigen Accessoires, setzt einen experimentierfreudigen Spieler voraus. Stilbezogene Limits oder Mode-Tabus existieren dabei genauso wenig wie Spielregeln.

Der sogenannte »Stilbruch«, bei welchem jegliche Trends ignoriert werden, zielt darauf ab, mehrere Modestile, die aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit scheinbar nicht zusammenpassen, zu kombinieren und jene vermeintliche Disharmonie durch die gekonnte und zugleich extravagante Wahl der Farben, Materialien, Muster, Formen und Schnitte in Harmonie umzuwandeln. Nicht selten werden dabei diverse Sphären der Modegeschichte vereint, woraus sich eine unendliche Symphonie des kreativen Experiments erschließt. Auf jenem kompositorischen Mischpult lösen Farben und Ornamente sinnliche Emotionen aus und geben dabei stets ein mutiges Statement ab.

Judith Bradl


Einen Vorläufer jenes Stilbruch-Statements finden wir bereits in den 1960er Jahren, als die Flower-Power-Bewegung aus modetechnischer Sicht mehr als nur ein kurzweiliger Trend war. George Kenneth Scott, besser bekannt als Ken Scott, dominierte in den 1960ern das bunte Emporium der Farb- und Blumenmuster und konzipierte seine Modeentwürfe sowie deren Repräsentation als Gesamtkunstwerk. Scott wurde als »Modegärtner« bezeichnet und im Jahr 2021 von Guccis ehemaligem Kreativdirektor Alessandro Michele in einer floralen und farbfreudigen Capsule Collection gewürdigt. Seine Designs sind omnipräsent und Inspirationsquelle für Künstler und Kreative jeglicher Stilrichtung.


Anfang 1970 porträtierte David Hockney hingegen das britische Designerpaar Mr. und Mrs. Clark*. Die bildliche Darstellung von Modedesigner Ossie Clark und seiner Partnerin, Textilherstellerin und Designerin Celia Birtwell, verh. Clark, kann als visuelles Manifest der Repräsentation und als Geburt einer neuen kreativen Schicht gedeutet werden. Das Paar war eines der ersten kreativen Künstlerpaare, welches gemeinsam an einem Gesamtwerk arbeitete und sich aufgrund diverser und doch ähnlicher Talente ergänzte. Auf eine bestimmte Art und Weise unterscheiden sich die Arbeiten der beiden Designer jedoch eklatant; während Celia in den 1960er Jahren am Royal College of Art in London ein Studium in Textildesign absolvierte und sich später auf die Anfertigung von Textilien für Op-Art-Möbel spezialisierte, war Ossie seit jungen Jahren von der britischen Musik- und Kunstszene angetan. Er war einer der ersten Modedesigner, der es verstand, Mode als Kunstform zu inszenieren und zelebrieren, indem er seine Designs im Rahmen und im Austausch mit anderen Kunstströmungen wie Musik, Tanz oder Performance-Kunst präsentierte und eine »Fashion Show« als theatralische Erweiterung und Bühne der jeweiligen Kollektion nutzte.

Celia beschrieb ihren Partner aufgrund dessen Erfindung und Konzipierung von dreidimensionalen Formen sowie dem Zusammenspiel von Farbe und Muster als »Architekt der Mode«. Im konkreten Designprozess komponierten Ossie und Celia gemeinsam ein Werk; sie zeichnete Muster und Prints auf Crêpe, Seide oder Chiffon, welche er daraufhin in Kleider transformierte. In den Designs vereinte Ossie Clark verschiedene Ethnien und Kulturen, nicht zuletzt dank der Philosophie und Energie der maximalistischen Farbmuster von Celia. Jene Muster – verspielt und verträumt, mit einem Hauch an femininer Nostalgie – wurden von internationalen Stars wie Brigitte Bardot, Liz Taylor, Marianne Faithfull, Mick Jagger und vielen weiteren Persönlichkeiten mit großer Begeisterung getragen. Auf Celia Clarks Musterwelt hatten vor allem die Kunstströmungen des Kubismus und Pointilismus sowie Henri Matisse und mittelalterliche Wandteppiche großen Einfluss. Ideen und Inspirationen fand sie neben zahlreichen Besuchen und Recherchen im Mode- Archiv des Victoria and Albert Museum in London, auf ihren Reisen in Spanien, Marokko und Frankreich. Jene Symbiose der Farb-und Textilaffinität wirkt genauso sehr auf zeitgenössische Künstler wie auch auf Modedesigner. Im Jahr 2015 designte Celia Birtwell beispielsweise die romantisch-floralen Verzierungen und Stickereien der Valentino Pre-Fall-Kollektion, angelehnt an Sandro Botticellis Frühling. Ziel der Valentino-Entwürfe war die Erschaffung eines Gefühls der Zärtlichkeit und ein Eintauchen in die magische Fabelwelt der Renaissance.

Eine starke Vertreterin des Mix & Match in puncto ornamentaler Verzierung bildet neben Ken Scott und den Clarks eine junge Designerin aus Genua. Seit 2009 liefert sie mit ihrem Label »Frei & Apple« einzigartige Stoffmuster auf vermeintlich schlichter Baumwolle, welche die Funktion einer sog. »second skin«, respektive einer zweiten Haut, erfüllt. Laut Carina Negrone, der Gründerin des italienischen Labels, sollte es in der Mode weder Saisonen noch klare Strukturen geben. Vielmehr sollte jede:r einen eigenen Stil kreieren. Ihre zeitgenössischen Stoffe, gemischt mit unkonventionellen Pop-Ornamenten und Vintage-Mustern, gelten dabei als Fundament jener aktuell verbreiteten Persönlichkeits- und Stilfindung. Neben Kleidern fertigt Carina außerdem Tapetenmuster an, welche durch die repetitive Musterung eine therapeutische Wirkung und starke energetische Ausstrahlung haben. Die Muster sind geometrisch, aber genauso barock und fantasievoll wie ihre Bezeichnung; jedes Muster erhält einen Namen und eine Identität. Ähnlich wie Celia Clark, findet auch Carina Negrone auf ihren Reisen kreativen Input. Ihre Kreation »Egyptian Capri Blue« sei eine visuelle Kreuzung der zwei Reisedestinationen.
In ihren Erzählungen über Reisen und Inspirationen spricht die Designerin wiederholt vom Terminus des sog. »Printstorming«. Bezugnehmend auf den Fluss an visuellen Eindrücken und Emotionen gebe jedes ihrer Ornamente sowie dessen Farbwahl einen kompositorischen Strom an Kraft, Energie und Lebhaftigkeit. Angelehnt an die ursprüngliche Erfindung des Mix & Match, ist die Frei & Apple Philosophie buchstäblich frei von gesellschaftlichen Zwängen und modediktatorischen Formalitäten.

Die Reise der freien Ornamente ebnet den Weg in eine Welt, in der wir uns nicht finden, sondern in der wir uns erst kreieren müssen; eine Welt, in der wir, unabhängig von äußeren Einflüssen und Strömungen, unsere eigenen Stylisten und Produzenten sind. Und zuletzt eine Welt, in der wir einzigartig und vielgefächert sind – genauso wie jene Muster und Ornamente, welche keinen Anfang und kein Ende haben.

Abbildungen: 
1  Neben dem Mode-Phänomen des Mix & Match, ist auch das sog. Layering ein beliebtes und vor allem sehr zeitgemäßes Styling-Motto. Gedanklich an eine Collage anknüpfend, werden dabei diverse Materialien, Techniken, Farben und Formen in unregelmäßigen Abständen aneinandergereiht und ergeben schlussendlich ein Gesamtbild. Die antike Tapete steht dabei im harmonierenden Dialog mit den Pop-Farben des grünen Anthea-Kleides von Frei & Apple, und dem kontrastierenden Kopftuch in oranger Fisch-Musterung. Foto: Judith Bradl
2 Wenn Wolle zur zweiten Haut wird, dann handelt es sich ohne Zweifel um eine Kreation des Labels »Frei & Apple«. Die Inspiration für das Muster fand die Designerin Carina Negrone, in den Ausformungen einer Sarracenia-Pflanze, und danach wurde das Kleid auch benannt. Foto: Judith Bradl
3 Aus Celia Birtwell‘s Skizzenbuch (1970) sowie in der textilen Übersetzung des Kleides, kann man ihre Begeisterung für abstrakte Formen und florale Verzierungen erkennen. 
Celia Birtwell’s Entwurf mit Tulpen-Muster aus dem Jahr 1972 erinnert aufgrund der Leichtigkeit und Verspieltheit an die sog. »tea dresses« der 1920er-und 30er-Jahre.