Ein Garten der Mode als Manifest für den Frieden

 

Sobald der Frühling mit all seinen Blumen und Freuden einkehrt, scheint jeder Garten ein renaissanceartiges Fest zu feiern. Oft ist es, als ob sich die Wiederkehr einer Dosis Hoffnung in dem Erwachen der Natur widerspiegelt. Die Blüten in unseren Gärten und Wäldern verwandeln sich in regelrechte Hoffnungsspender. Jedes Jahr aufs Neue sind sie der Beweis dafür, dass ein Neuanfang durch Schönheit und Einfachheit entsteht.

In jenen ersten Frühlingstagen bin ich – neben den zarten Blüten in meinem Garten – von Christian Diors Streben nach Hoffnung und seiner friedliebenden und zugleich revolutionären Gesinnung angetan. In seiner Autobiografie »Dior by Dior« sowie in der neuen TV-Dra­ma-Serie »The New Look« erfahre ich, dass Dior die Entscheidung der Grün­dung seiner eigenen Maison nicht dem Zufall überließ. Für Christian Dior konn­ten die trüben Nachkriegsfolgen nur durch hoffnungsgebende Anregungen erhellt werden.

 

 

Im Jahr 1946 überzeugte Dior schließlich den Textilindustriellen Marcel Boussac mit seiner Auffas­sung der Couture als Verkörpe­rung der Zuversicht sowie der überlebenswichtigen Träume­rei. Der Couturier wusste, dass sich die Menschheit in jenen Jahren aus tiefster Seele nach Schönheit und Kunst sehnte. Und er sollte Recht be­halten: Diors Krea­tionen der späten 1940er- sowie der 1950er-Jahre re­sultierten in einer Wiederbelebung der friedlichen Zivilisation und der glamourösen Eleganz. Zugleich wa­ren die Kleider ein Manifest gegen den kriegsbedingten Untergang der Kreativi­tät und Freiheit. Diors geradlinige Revo­lution begann am 12. Februar 1947 um 10.30 Uhr, als die erste Kollektion der Maison Christian Dior in den Salons der 30 Avenue Montaigne präsentiert wurde. Carmel Snow, damalige Chefredakteurin von Harper’s Bazaar, schrieb dazu: »My dear Christian, your dresses have such a new look!« Dies kann als Indiz dafür gelesen werden, dass jene den düsteren Winter überstehen, die an die Pracht des Frühlings glauben. Das Neue, von dem Snow sprach, war in Wirklichkeit ein unerwarteter Schritt zurück in die Ver­gangenheit. Zwei Jahre nach Kriegsende zog Dior einen Strich unter die düstere Zeit und die Restriktionen und belebte die Pariser Haute Couture mit großem Luxus wieder, die Frauenträume er­neut aufleben ließ. Die Reaktionen wa­ren skeptisch, aber auch bewundernd, kritisch, aber auch aufgeregt. Dutzende Meter an wertvollen Stoffen hüllten die Pariser Damen in eine bislang zurückge­haltene Weiblichkeit. Korsett und Mieder, die nach der Intervention von Poiret und Coco Chanel aus der Damengarderobe verschwunden waren, feierten mit Dior ihre Wiederauferstehung.

Im Garten der rosafarbenen Fami­lienvilla Les Rhumbs entwickelte Chris­tian Dior die Idee der Blumenfrau, die zur Blütenkelch- und Tulpenlinie führte – das Maiglöckchen wurde zum Glücks­bringer und Symbol des Modehauses. Der rote Klatschmohn, die orangefarbe­ne Kapuzinerkresse, die gelbe Osterglo­cke und die rosa Pfingstrose dienten als Inspirationsquellen für die Farbpalette seiner Kreationen. Diors revolutionäre »Corolle« (Blütenkelchlinie) sah immen­se und luftige Röcke vor, die sich wie aufbrechende Blumen entfalten. Kom­plettiert wurden die Looks durch Acces­soires wie Tellerhüte, lange Handschuhe und raffinierte Schuhe mit hohem Ab­satz. Von Marlene Dietrich – die seither Muse und Kundin des Hauses war – bis zu den gewöhnlichen Frauen hatten alle nur einen Wunsch: den New Look, den Dior als »Rückkehr zu einem Ideal zivili­sierten Glücks« definierte, anzunehmen und in vollen Zügen auszuleben.

Jener Freude und Leichtigkeit begegnete ich neuerlich auf der Mailänder Fashion Week, als ich die Kollektionen für die diesjährige Herbst-Winter-Saison bewunderte. Alessandro Enriquez, Kreativdirektor und Modedesigner aus Sizilien, beschäftigt sich in seiner aktuellen Kollektion »Pace Ci Piace« mit der Philosophie des friedlichen Zusammenlebens und übersetzt Werte wie »Liebe« und »Lebensfreude« in ein modisches Feuerwerk aus Farben und Mustern. Die Inspiration für seine farbintensiven Kreationen findet er in den Modeikonen der 1960er- und 1970er-Jahre, wie Raffaella Carrá, Jane Birkin oder Twiggy. Enriquez verwendet zahlreiche Blumenmuster symbolisch und spricht damit eine Universalsprache. Der Garten des Friedens sei nur prächtig und wertvoll, solange wir ihn beschützen und dessen Flora mit Liebe und Zuneigung pflegen. Dieses Konzept übersetzt Alessandro Enriquez in liebe­volle Kreationen, die sich durch warme Farbtöne und bestickte Seidenstoffe kennzeichnen. Der Designer ist überzeugt, dass Mode als Kunstform ein Zeichen des Friedens setzen kann. Seine Kollektion belegt die Positivität von kräftigen Farben und natürlichen Stoffen wie Seide, Wolle oder Baumwolle. Durch die Erschaffung eines imaginären Gartens gelingt es ihm, eine Ebene der Gemeinschaft zu ergründen. Alessandro Enriquez möchte mit seiner Mode Welten und Menschen vereinen. Die Menschen betrachtet er dabei als bunte Vielfalt und Diversität, ähnlich wie die Blumen eines Gartens – jede Kreation ist einzigartig und besonders, jede blüht auf ihre eigene Art und Weise.