Mit einer Ausstellung der Spitzenklasse fasziniert Galeristin Anja Es ihr Publikum. Am 17. August eröffnet sie mit einer großen Vernissage die Schau des Malers Thomas Kaemmerer - einem der besten deutschen Künstler des Hyperrealismus. Seine Bilder beeindrucken.

Man muss zweimal hingucken. Doch auch bei näherer Betrachtung entschlüsselt sich kaum, wie genau diese Bilder entstanden sind. In ihrer Wirkung ähneln sie gestochen scharfen Fotografien, dennoch ist ihnen die Aura der Malerei immanent. Das macht vermutlich ihre Präsenz aus, der sich schwer zu entziehen ist.

Kaemmerer, der Kunst und Grafik an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin studierte, war Meisterschüler bei Prof. Klaus Fußmann, ist in großen Sammlungen vertreten und hat für Großunternehmen wie RWE oder EON gemalt. Schon während seines Studiums war er als Bühnenmaler an der Hamburgischen Staatsoper, als Bühnenbildner am Theaterhaus Stuttgart und am Theaterhof Priessenthal beschäftigt und hatte Stipendien u.a. beim Else-Heiliger-Fond der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Nach einigen Jahren intensiver Zuwendung zur Druckgrafik und dem Zeichnen befasste sich Thomas Kaemmerer mit der Malerei und erfuhr damit schon früh viel Beachtung. Es folgten Galerie-Ausstellungen, jurierte Ausstellungsbeteiligungen, Messe- und Art-Show-Präsenzen. Sein Œuvre umfasst Stillleben, Architektur- und Technikmalerei, zunehmend auch Portrait und eine Kombination aus diesen Bereichen. Dabei widmet er sich seinen unterschiedlichen Bildmotiven mit gleichbleibender Leidenschaft und Präzision. Seine aufwendigen Architekturbilder brillieren durch gekonnte Konfrontation von Licht und Schatten sowie bis ins Kleinste ausgearbeitete Stuckfassaden. Silber-, Gold-, Messing- und Kristallgefäße reflektieren ihre Umgebung so oft, dass sich das Objekt darin beinahe aufzulösen scheint, die Motive seiner Technik-Bilder sind bis ins letzte Detail, bis zur kleinesten Schraube ausgearbeitet. Kaemmerer macht jedes Material beinahe haptisch erlebbar. Seine jüngsten Arbeiten, die jetzt erstmalig in der Galerie präsentiert werden, haben in ihrer Motivwahl einen narrativen Charakter und regen durch ihr subtiles Arrangement zu eigenen Fantasien an. Letzteres führt zum Kern seiner Malerei. Die Arbeiten sind mehr als Ab-Bilder, die genauer sind als das, was das menschliche Auge beim Betrachten der Realität wahrnimmt. Sie gehen auch tiefer als eine hochaufgelöste Fotografie – sie tragen den Geist des Originals in sich, der über die Stofflichkeit hinausgeht. Der Wahl seiner Motive und deren Inszenierung geht die Arbeit mit Licht und Dunkelheit, dem Arrangement der Spiegelungen und dem Farbkonzept voraus. Allem zugrunde liegt jedoch die Idee eines Faszinosums, eines emotionalen Impulses, die den Gemälden – ähnlich dem homöopathischen Prinzip der unendlichen Verdünnung – ihren Geist verleihen.

Der Rest ist Arbeit, konzentrierte, präzise Arbeit.

Die auf Platte gespannte Leinwand wird bis zu zehnmal grundiert, geschliffen und mit einer dünnen Hintergrundfarbe versehen. Danach folgt eine äußerst detaillierte Zeichnung, die zum Teil mehrere Tage in Anspruch nimmt und erst dann landet das Bild auf einer von Kaemmerers großen Wandstaffeleien. In bis zu zwanzig Farbschichten erzeugt der Künstler jene Intensität der Farbigkeit, die seine Bilder zu Mysterien machen. Dabei ist sein Pinselduktus äußerst fein – sein Verbrauch an kleinsten Pinseln ist immens, Ölfarbe wird in minimalen Mengen auf die Palette gebracht und in unendlichen Nuancen immer wieder neu gemischt. 

Diese Maltechnik und die Virtuosität ihrer Anwendung machen es Kaemmerer möglich, jede Oberfläche zu malen und ihr – ein Paradoxon – Tiefe zu verleihen. Seine Bilder von angerosteten Maschinen, historischen Industrieanlagen, auf Hochglanz polierten Zuckerschalen, Stuckfassaden, Gläsern oder Kunststoffspielzeug, das glänzende Satin eines Höschens zwischen klebrigen Bonbons oder die Struktur eines gewebten Stoffes ist von solcher Detailvirtuosität, dass sie den Vergleich mit Meisterwerken niederländischer Malerei oder spanischer Barockmalerei nicht fürchten müssen. Doch Kaemmerer ist ein Kind der Siebziger Jahre. Sein Kunstbegriff ist befreit und so lässt er sich mit seinen Arbeiten und der Wahl seiner Motive nicht wirklich einordnen. Von geschliffenen Karaffen und verschnörkelten Silbertabletts über seine „Trash-Serie“ mit Impressionen aus den Schmuddelecken Berlins bis hin zu Einblicken in eine Messie-Wohnung liefert er alles, was ihm als optisches Phänomen und Aussage kunstwürdig erscheint.

 

 

Seine kleinteiligen Architekturbilder großer Jugendstil- und Gründerzeithäuser, alter U-Bahnhöfe und Denkmäler, seine Stuckstudien und Baupläne zeichnen allerdings das Bild eines Künstlers, der sich nach der architektonischen Ästhetik vergangener Zeiten zurücksehnt. Kaemmerer: „Ich kann keine Stadtansicht mehr malen, wenn da nur Würfelhusten steht.“

Ganz im Gegensatz zu dieser Motivik stehen seine an Pop Art erinnernden, in leuchtendstem Kolorit schillernden Arbeiten von Bonbons, Dessous oder mit wildem Chaos überwucherten Tischen. Ein Fest für jene, die ihren Blick vom grauen Alltag in eine rauschhafte Welt aus Farbe, Reflexen, Transparenz und Oberflächen tauchen wollen.

Mit an Besessenheit grenzender Akribie geht Kaemmerer an jede neue Arbeit – und das braucht seine Zeit. Seine letzte Ausstellung in den Räumen von Kunst und Kultur zu Hohenaschau wurde so gut wie ausverkauft, sodass der Künstler zur Vorbereitung der aktuellen Schau in der Galerie Anja Es in Lübeck mehr als zwei Jahre brauchte. Jetzt präsentiert sie in den historischen Räumen der Alten Vogtei in Travemünde seine neuen Arbeiten und bereitet sich auf interessante Gespräche mit kunstinteressierten Gästen vor. Eine Antwort auf die wohl am meisten gestellte Frage hat sie schon: Ja, es ist gemalt.

Ab 17.07.2024
Thomas Kaemmerer
Hyperrealismus

Anja Es KUNST!
Vorderreihe 7
23570 Lübeck (Travemünde)
www.anja-es-kunst.de
bilder@anja-es.de