Ion Mândrescu (geboren am 13. Juni 1954 in Suceava in Rumänien) beendete 1974 das Kunstgymnasium »Ștefan Luchian« in Botoșani in Rumänien und 1980 das Institut für Bildende Kunst »Ion Grigorescu« in Bukarest. Dank eines Wettbewerbes bekam er ein Stipendium, um im Frederic und Cecilia Cuțescu-Storck Museum Bildhauerei zu vertiefen. Schon bald schuf er die ersten Bronzen zum Thema »Mensch, Zeit, Raum«, das ihn sein ganzes Leben begleiten wird. Von dieser Reihe steht heute u. a. eine Version im Vorraum des Generalsekretärs des Europarates.

Bevor Ion Mândrescu seine erste Einzelausstellung erhielt, durfte er 1983 in die Deutsche Demokratische Republik reisen, wo er insbesondere von den griechisch-römischen Plastiken im Pergamonmuseum und den neuzeitlichen Skulpturen im Bodemuseum in Berlin ergriffen war, wie er selbst sagte: »Ich kannte die Werke in den Museen des Landes (Rumänien), aber die großen Skulpturen der Welt hatte ich nur auf den Bildern gesehen. Das Foto kann jedoch nicht die wahre Größe einer Skulptur wiedergeben. Sie muss in ihrem natürlichen Licht, in ihrer Räumlichkeit, in ihrer Materialität angeschaut werden. 1983 kam ich nach Berlin und als ich die griechischen Skulpturen im Pergamonmuseum und im Bodemuseum sah, wollte ich die Kunst aufgeben. Als ich die Museen in der Deutschen Demokratischen Republik sah, wurde mir bewusst, welche verheerende Wirkungen der Kommunismus auf die Kunsterziehung hatte.« Dieser Schock lähmte Ion Mândrescu mehrere Monate. Er fiel in eine tiefe Depression, um dann – wie Phönix aus der Asche – enorme Kraft zu schöpfen und Werke zu schaffen, die noch weit über das bisher von ihm hervorgebrachte reichte und weitere faszinierende Skulpturen lieferte. Diese erregten schon in den ersten zwei Einzelausstellungen von Ion Mândrescu in Rumänien großes Aufsehen, sodass sich bekannte rumänische Kunstkritiker bereits mit seinen ausgestellten Werken ungewöhnlich stark auseinandersetzten. Der Kunstkritiker Tudor Octavian äußerte im November 1984 anlässlich von Ion Mândrescus erster Einzelausstellung in der Galerie Orizont in Bukarest Folgendes: »Die Debütausstellung des Bildhauers Ion Mândrescu hat alle Merkmale einer reifen Manifestation, sogar mit einem zusätzlichen Stolz in Richtung der Idee der Erfüllung. Ein Werk, das nun aus sich selbst herauswächst und für das jeder Versuch einer stilistischen oder konzeptionellen Anpassung unzureichend ist.« Der Kunstkritiker Mihai Drișcu führte dazu aus: »Seine Wege sind keine Nebeneinanderstellungen von Stücken, sondern multizentrische Aneinanderreihungen; sie implizieren ein Ritual des Lesens, mit privilegierten Momenten, mit starken und schwachen Momenten. Eine Art empirischer Strukturalismus führte ihn zu dem Schluss, dass das Ganze nicht die bloße Addition seiner Elemente ist, dass jedes Element einen anderen Wert hat, wenn es in ein Ganzes integriert oder als isoliertes Element betrachtet wird. Das Ganze bedeutet mehr als seine Einzelteile. Das allgemeine Thema der Reisen von Ion Mândrescu ist die Verschmelzung von Gegenständen, der Prozess des Schließens und Öffnens, der Prozess der Erweiterung und der Konzentration

Die gleiche Kraft und Faszination erfüllte 1988 die zweite Einzelausstellung, wie Anca Drăgoescu kommentierte: »Beim ersten Kontakt können die von Ion Mândrescu signierten Skulpturen durch das Repertoire an Formen überraschen; vor allem durch die Art und Weise, wie sie völlig losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung zu den Elementen eines neuen plastischen Codes werden. Jedoch erscheint es uns bedeutsam, die spezifische und unverwechselbare Prägung des Künstlers zu entschlüsseln ... Wir haben es mit einer dynamischen Artikulation von Volumen zu tun, die einander einen kompositorischen Willen legen. Dieser kompositorische Wille wird von der Idee der Spannung beherrscht, die aus der Konfrontation von Gegensätzen entsteht. Die Lösung in einer totalen Einheit hebt keinen der Begriffe auf, sondern wertet jeden einzelnen auf. Die Stärke und Monumentalität der Werke ergeben sich aus der Aufhebung der spannungsreichsten Momente des Konflikts; Momente, in denen das dynamische Gleichgewicht zur Auflösung neigt. Wir finden hier einen zusätzlichen Beweis zur Unterstützung der Ideen, dass es aus plastischem Gesichtspunkt keinen inhaltlichen Unterschied zwischen dem Figurativen und dem Abstrakten, sondern eine Wahrnehmung gibt. ... Das grundlegende Element des plastischen Diskurses, der Raum, offenbart sich in einer Doppelrolle als Formgenerator und als Erzeuger von Formen. Die Bewegung zwischen dem Figurativen und dem Abstrakten ist ein Faktor der Selbstzensur, der ständigen Beibehaltung innerhalb der Grenzen der formalen Logik. Und wenn wir die Formulierung von Cesare Brandi akzeptieren, dass »Kunst keine Frage des Könnens ist, sondern eine der Sensibilität im Kontakt mit der Außenwelt«, können wir schließen, dass zwischen einem figurativen Barockstil und einem Abstrakten, das aus einem Prozess wiederholter plastischer Reduktionen resultiert, die Welt der Skulpturen von Ion Mândrescu den Primat der Materie als zwingende Alternative zum Fortschritt auf dem Weg der Selbsterkenntnis bekräftigt.«

Nach dem Ende des Kommunismus in Rumänien und der damit verbundenen Öffnung des Landes konnte Ion Mândrescu auch westliche Länder bereisen, die ihn in der Folge zusätzlich prägen sollten. Erste wichtige Begegnungen nach der Wende waren für den Künstler 1992 die Weltausstellung »Das Zeitalter der Entdeckungen« in Sevilla und 1993 das Rumänische Kulturinstitut in Paris, wo er einen Exklusivvertrag für 15 Jahre mit der renommierten Galerie AKKA VALMAY in Paris erhielt. Danach wurde er von The Five Plus Art Gallery in Wien vertreten. Neben diesen positiven Effekten erlitt Ion Mândrescu aber auch immer wieder Zweifel an seiner Kunst, insbesondere als er in den 1990er-Jahren die Werke von Auguste Rodin erstmalig im Original sehen konnte. Rodin ist für Ion Mândrescu der größte Bildhauer: »Auguste Rodin ist einer meiner wichtigsten künstlerischen Meilensteine. Ich liebe alles, seine gesamte Schöpfung. Besonders reizt mich »Die Bürger von Calais« – ein Werk, das ich besonders schätze. Dem Werk mangelt es bezüglich der Komposition, der Ausdrucksstärke und der Ernsthaftigkeit der Ausführung an nichts. Es ist eine hervorragende Zusammensetzung, weil die Charaktere paradoxerweise als einheitliches sowie individuelles Ganzes absolut einwandfrei widerstehen. Die dreidimensionalen Volumina sind perfekt; sie konkurrieren nicht miteinander, sondern sind unzerstörbar von einer subtilen und unbeschreiblichen Richtung der Natürlichkeit jedes Charakters von einer seltenen Schönheit durchdrungen. Rodins Werk verführt zur Vollkommenheit.«  

 

 

Durch den Dialog mit Rodin und anderen einzigartigen Bildhauern sowie seinem überaus kritischen Blick auf sich selbst kam es immer wieder vor, dass Ion Mândrescu auch Stücke wieder einschmolz, die bereits in Ausstellungen zu sehen waren – ja sogar bewundert wurden. Nur das Beste war gut genug für ihn und sein Anspruch an seine Skulpturen blieb immer hoch.

Daher widmete er sich auch immer wieder in vielen Variationen seiner wohl charakteristischsten Skulptur »Mensch, Zeit, Raum«. In einem Rad ist ein oder sind mehrere Menschen eingeschrieben und versuchen, die Zeit und den Raum mit höchster Muskelkraft und Bewegung zu überwinden. Dennoch bleiben sie in Zeit und Raum gefangen, so sehr sie auch kämpfen. Sie können in diesem Rahmen frei agieren – sofern sie dazu bereit sind – und verstehen, ihr Schicksal in den gegebenen Grenzen zu gestalten. Dieses Schicksal teilen wir alle. Wir werden immer wieder damit konfrontiert, bis uns der Tod zu neuen Leben führt. Das verarbeitet ein zweites Hauptthema von Ion Mândrescu, »Wir sterben, um geboren zu werden«. Wie Gabriel Herea sagt: »Wir sind durch Zeit und Raum begrenzt. Ganz gleich, wie viel oder wie wenig wir in unserem Leben über Raum und Zeit philosophiert haben, haben wir alle die schwierigen Momente der Klarstellung dieser Beschränkungen erlebt. Das Älterwerden, der Tod oder einfach das Feiern des Neuen Jahres sind nur einige der Anlässe, die das Bewusstsein der Zeit in das Leben der Menschen bringen. Begleitet von Feiern oder Trauer und umgeben von Raum begreift der Mensch schnell, dass seine Interaktion mit Zeit und Raum Leiden verursacht. Deswegen haben die Menschen seit dem Altertum versucht – als sie philosophierten oder Offenbarungen von Engeln erhielten – ihre Zeit und ihren Raum zu ordnen. Sie wollten eine Komfortzone schaffen, wo das Leiden kontrolliert werden kann. Als der Mensch sich dem Schnittpunkt von Zeit und Raum näherte, spürte er das Templum (das Tor des Himmels) und verstand, dass er sich selbst während dieses Lebens von Zeit und Raum befreien kann, ohne zu sterben. Nachdem die Menschen diese Ebene des Verständnisses erreicht hatten, haben sie Tore (kairos) entdeckt, durch die sie rituell und ekstatisch aus dem Gefängnis Raum-Zeit (kronos) entkommen können. Somit ist der im Rad eingeschriebene Mann kein Opfer, sondern ein Sieger. Mândrescus Rad ist kein Folterobjekt, sondern eine spiralförmige Treppe, die mit dem Zentrum der Welt und dem Tor zwischen den Dimensionen verbunden ist. Der Mensch im Rad ist dynamisch, engagiert, Kraftträger, unbesiegbar, Achse der Welt und der Atlant, der das Universum trägt. Der rumänische Bildhauer will damit sagen, dass jeder Mensch die Achse der Welt sein kann, wenn er sich dem Kampf gegen die Trägheit anschließt und seinen Weg zu finden versucht, um die Unwissenheit zu überwinden und sich als Mensch zu verwirklichen.«

Sehr wichtig bleibt für den Künstler die diskursive Einheit des Werkes. Diese leitet er aus drei allgemeinen Prinzipien ab, wie Ion Mândrescu betont: »Die Bildhauerei ist meine Existenzform, sie ist mein Dialog mit dem Universum, meine Verbindung mit den Ideen, die diese Welt bedrücken; denn ich spreche durch Formen, durch Volumen, durch den Ausdruck des Volumens und dessen Identität. Die Bronze verstärkt meine Aussage. Ich muss nicht über meine Arbeiten sprechen, sondern sie müssen für sich selbst sprechen, unabhängig von mir. Ich bin vergänglich. Sie bleiben in der Nachwelt und wenn sie nicht sprechen, gehen sie durch die Geschichte wie ich – sie sterben, sie verschwinden. Für mich ist es wichtig, dass ich sowohl dem Eingeweihten als auch dem Nichteingeweihten etwas anbiete. Das heißt, dieser lebt im Kontakt mit meinem Objekt und geht nicht daran vorbei, ohne es zu sehen.« 

Ion Mândrescu gehört sicherlich zu den interessantesten lebenden Bildhauern, die Figuratives mit Abstraktem zu verbinden versuchen und ein Gefühl für Zeit und Raum zu schaffen, um damit zum Philosophieren anzuregen. Die Skulptur – seine Skulptur – ist dreidimensional und spricht in der Dreidimensionalität, die nur durch viele Blickwinkel erfasst, umgangen und verstanden werden kann – insbesondere wenn sie von einem Künstler wie Ion Mândrescu stammt, der immer wieder neue Ansichten schafft, die teilweise nur durch Ertasten gänzlich begriffen werden können.

Mehr als 200 Werke von Ion Mândrescu befinden sich in vielen Städten und Ländern, u. a. in Privatsammlungen in Rumänien (BCR-Sammlung, Hilton-Sammlung, Privatsammlungen), in Athen, Berlin, London, New York, Paris, Rom, Venedig, Wien sowie in Israel und Serbien.

Autor: Rainer Vollkommer
Forschung von Gabriel Herea
Übersetzung ins Deutsche: Elena Axinte