FEMALE COLLECTORS UND DER GENDER GAP IN DER KUNST.
von Katharina Crepaz
Kühne Männer machen sich todesmutig auf die Jagd, während fürsorgliche Frauen Beeren sammeln und sich um die Kinder kümmern – lange glaubte man in Archäologie und Anthropologie an diesen mittlerweile widerlegten Mythos einer biologisch begründeten Arbeitsteilung zwischen Jägern und Sammlerinnen. In der Forschung wie auch in der Kunst halten sich solche Geschlechterstereotypen und Rollenzuschreibungen hartnäckig: Wie bei allen Dingen, die eine hohe gesellschaftliche und finanzielle Position verlangen, dominieren bis heute patriarchale Strukturen die Szene. Doch: Es gibt Hoffnung!
In der Religion bedeutet Kanonisierung eine Heiligsprechung. In Literatur und Kunst wird etwas weniger hoch gegriffen, dennoch sind Inklusion oder Exklusion maßgebend für die Chancen von Künstler:innen, mit ihren Werken Beachtung zu finden und auch als Teil von Sammlungen aufgenommen zu werden. Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass primär männliche Künstler als maßgeblich und wegweisend in den Kanon aufgenommen wurden, während Frauen marginalisiert blieben. Dies gilt auch für die Rolle weiblicher Sammlerinnen und Mäzeninnen: Zwar gab es in der Kunstgeschichte schon häufiger solche Förderinnen, wirklich an Einfluss gewonnen haben sie aber erst in den letzten Jahrzehnten.
KANONISIERUNG ALS WERTUNGSHANDLUNG
Die Literaturwissenschaftlerinnen Renate von Heydebrand und Simone Winko beschreiben die Kanonisierung in der Kunst als »Ergebnis vieler, einander stützender Wertungshandlungen«, welche schlussendlich in einer Rangordnung der Künstler:innen resultieren. Wertungen vorzunehmen bzw. darauf Einfluss zu nehmen, ist ganz klar an eine gewisse gesellschaftliche Machtposition gekoppelt. Der Rückblick auf über 2000 Jahre patriarchale Gesellschaftsstruktur zeigt genauso klar, dass diese Wertung vorwiegend Männern vorbehalten blieb. Das wirkt sich auch auf die Kunst aus: Weibliche Künstlerinnen waren und sind weniger sichtbar. In den Lexika und Handbüchern, die der breiteren Öffentlichkeit Auskunft über das künstlerische Schaffen einer bestimmten Epoche geben, muss man mitunter lange nach weiblichen Kunstschaffenden suchen – wenn man sie überhaupt findet. Die durch Kanonisierung bzw. den Ausschluss aus dem Kanon vorgenommene Wertung spiegelt sich aber nicht nur in ideeller Wertschätzung und Anerkennung, sondern auch in finanzieller Hinsicht wider. Je unbekannter die Künstlerin, desto geringer der monetäre Wert ihrer Werke; in Zeiten von Kunst als Geldanlage sind sie somit auch für Sammler:innen weniger interessant. Sammler:innen üben demnach ebenfalls eine selektierende Funktion aus und auch in diesem Fall sind es, wenig überraschend, vielfach Männer, die sich in dieser wirkmächtigen Rolle befinden. Frauen erfahren also zweierlei Exklusion: Aufgrund mangelnder Sichtbarkeit bleiben sie aus dem kunsthistorischen Kanon aus-geschlossen, zudem finden sie sich seltener in Entscheidungspositionen als Sammler:innen und haben damit auch weniger Möglichkeiten, diesen Exklusionsprozess weiblicher Kunstschaffender abzuschwächen bzw. gezielt zu bekämpfen.
MUT ZUM SCHLIESSEN DER LÜCKE(N)?
Zwischen den Karrieremöglichkeiten, der Entlohnung und somit letztendlich den Lebenschancen von Männern und Frauen bestehen diverse Gaps, zu Deutsch Lücken. Sie sind mittlerweile auch Teil wissenschaftlicher Forschung in unterschiedlichsten Disziplinen. Der Gender-Pay-Gap, die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern und der Gender-Pension-Gap (Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, meist um Care-Arbeit zu verrichten, und bekommen dadurch weniger Rente) gehören wohl zu den bekanntesten Ungleichheitsphänomenen. Auch in der Kunst finden sich bereichsspezifische Lücken, etwa der Gender-Show-Gap. Künstlerinnen erhalten viel seltener die Chance, ihre Werke im Rahmen einer Ausstellung zu zeigen – und somit Sichtbarkeit zu erlangen. Das Berliner Gallery Weekend ist etwa das verkaufsstärkste Event der Szene in Deutschland. 2018 hatten männliche Künstler dort ganze 40 Prozent mehr Einzelausstellungen als weibliche Künstlerinnen. Auch international sieht es nicht besser aus: Wie die New York Times recherchierte, wurden zwischen 2008 und 2018 gerade einmal 11 Prozent der von den führenden Museen der USA für ihre ständigen Sammlungen erworbenen Kunst-werke von Frauen geschaffen. In den 2010er Jahren kauften die 26 Top-Museen der USA 260.570 Werke an – darunter nur 29.247 Arbeiten von Künstlerinnen. Zwischen 2007 und 2014 lag der Künstlerinnenanteil bei den Soloausstellungen im Whitney bei 29 Prozent, im Guggenheim bei unter 25 Prozent und im MoMA unter 20 Prozent. Im Kunstkompass des Capital-Magazins, das seit 1970 jährlich die größten internationalen Künstler:innen auszeichnet und da-durch auch eine Art Kanonisierungsfunktion einnimmt, fanden sich 2020 sieben Männer und drei Frauen unter den Top 10. Die Liste der »Stars von Morgen« im selben Magazin zeigt ein langsames Umdenken: Hier liegt die Verteilung bei 50-50, mit einer Woman of Color, Otobong Nkanga aus Antwerpen, an der Spitze des Rankings. Da der Kunstmarkt nicht nur männlich, sondern auch weiß dominiert ist, bricht diese Positionierung mit gleich zwei Ungleichheitsdimensionen in der Kunst.
DIE KUNSTWELT ALS »OLD BOYS CLUB« UND DER AUFSTIEG WEIBLICHER SAMMLERINNEN
Woher kommen diese Ungleichheiten? Laut Barbara Green, Kuratorin mit Fokus auf Frauen in der Kunst, gab es nach dem ersten Weltkrieg eine liberale Entwicklung mit den ersten Frauen an den Kunsthochschulen, die aber in der Zeit des Nationalsozialismus wie-der zunichtegemacht wurde. Zudem gibt es einflussreiche »Old-Boys-Netzwerke«, wie Hannah Kruse, Leiterin des Künstlerinnenprojektes Goldrausch kritisiert. Goldrausch ist ein Förderprogramm für bildende Künstlerinnen, das genau jenen Old-Boys-Netzwerken entgegenwirken soll, in denen Altstars der Kunstszene häufig eine »jugendliche Version ihrer selbst« protegieren. Sichtbarkeit durch Ausstellungen ist die Grundvoraussetzung für mehr Anerkennung und dadurch auch für mehr monetären Wert und mehr Interesse seitens der Sammler:innen. Einige Initiativen dazu gibt es bereits. So änderte etwa Maria Balshaw, die Direktorin der Tate Britain in London, für ein Jahr die Sammlungspräsentation zeitgenössischer Kunst und zeigte 2018 ausschließlich Werke von Künstlerinnen. Frauen, die im Kunstbetrieb eine Führungsposition erlangt haben, können somit maßgeblich zum gesellschaftlichen Wandel beitragen.
Dies gilt auch für weibliche Sammlerinnen. Die Wurzeln des Sammlerinnen- und Mäzeninnentums reichen weit zurück: Isabella d’Este gilt als die bedeutendste Kunstmäzenin der Renaissance. Die Estes gehörten zu den ältesten Herrschaftsgeschlechtern Italiens und hatten ihren Stammsitz in Ferrara. Isabella erhielt eine für eine Frau ihrer Zeit außergewöhnlich umfangreiche Bildung und förderte Malerei, bildende Kunst, Bronze- und Kleinkunst; insgesamt fanden sich 1620 Kunstwerke in ihrer Sammlung. In ihrem Buch zur »Berliner Kunstmatronage« stellt Anna-Carolin August Sammlerinnen und Förderinnen bildender Kunst im Berlin der Jahr-hundertwende dar. Über 80 Frauen werden darin porträtiert. Das Sammeln von Kunst ist damit auch als emanzipatorischer Akt in Richtung Gleichstellung der Geschlechter zu verstehen. Da viele dieser Sammlerinnen jüdischer Herkunft waren, wurden ihre Bestände in der Nazizeit enteignet und ihre wichtige Rolle für die Genese des Museumswesens der Stadt geriet in Vergessenheit bzw. wurde gezielt verschwiegen.
In den USA gewannen Sammlerinnen um die Jahrhundertwende an Einfluss. Zu den bekanntesten internationalen Sammlerinnen der Moderne zählen etwa Gertrude Vanderbilt Whitney, die Gründerin des Whitney Museum of American Art in New York, und Peggy Guggenheim, die Nichte des Gründers des Guggenheim Museum in New York, deren Motto es war, ein Bild am Tag zu kaufen. Guggenheims Galerie Art of this Century stellte zeitgenössische Künstlerinnen wie Frida Kahlo, Louise Bourgeois und Leonora Carrington aus. Lillie Bliss, Abby Rockefeller und Mary Quinn Sullivan gründeten zusammen das Museum of Modern Art (MoMA) in New York.
Abbildung: Guerrilla Girls, Dearest Art Collector, 1986 © Guerrilla Girls, courtesy guerrillagirls.com
SAMMELN ALS FEMINISTISCHER PROTESTAKT
Obwohl es also einflussreiche Sammlerinnen gab, die teilweise auch gezielt Künstlerinnen förderten, führte dies nicht zu einem allgemeinen Anstieg der Sichtbarkeit von weiblichen Kunstschaffenden. Darauf machten unter anderem die Guerilla Girls aufmerksam, eine feministische Gruppe, die seit 1984 sexistische und rassistische Diskriminierung im Kunstbetrieb anprangert. Die Guerilla Girls versandten 50 Poster an die wichtigsten Museen, auf denen sie sich an den »Dearest Art Collector« wandten und darauf hinwiesen, dass dessen Sammlung, wie die meisten, zu wenig von Frauen geschaffene Kunst umfasst.
Zeitgenössische Sammlerinnen versuchen nun, dieser Entwicklung gezielt entgegenzuwirken. Ein prominentes Beispiel dafür ist Valeria Napoleone, die in London eine Kunstgalerie betreibt. Napoleone traf bereits beim Aufbau ihrer Sammlung die Entscheidung, nur Werke von Künstlerinnen auszustellen; sie wollte ihre Sammlung zu einem Chor weiblicher Stimmen machen; jener Stimmen, die im Laufe der Kunstgeschichte zum Schweigen gebracht wurden. Im Jahr 2015 startete Napoleone die Initiative »XX« und tat sich mit der britischen Contemporary Art Society zusammen: Jedes Jahr wird nun ein Museum außerhalb Londons ausgewählt, dem ein bedeutendes Werk einer Künstlerin gespendet wird – so erhalten die Werke weiblicher Kunstschaffender im gesamten Vereinigten Königreich mehr Aufmerksamkeit. Der Wandel hin zu mehr weiblichen Sammlerinnen, die eine wichtigere Rolle einnehmen, lässt sich auch aus finanzieller Sicht fest-stellen. Laut Forbes Magazine gaben 2020 wohlhabende Frauen erstmals mehr für Kunst aus als männliche Sammler; dies könnte ein Turning Point für mehr Relevanz weiblichen Engagements in der Kunstwelt allgemein sein. Sammlerinnen wie Elaine Wynn, Inhaberin der Wynn Resorts Gruppe, Milliardärin und bekannt als »Queen of Las Vegas«, verbinden ihre Kunstsammlung mit feministischem Engagement etwa im Rahmen der »Women’s Marches«, die während der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA als Protest gegen dessen sexistische Äußerungen und frauenfeindliche Politik abgehalten wurden. Weibliche Sammlerinnen nehmen mit ihrem Kaufverhalten, aber auch mit ihrem gesellschaftspolitischen Verhalten Einfluss auf die Kunstszene, verhelfen feministischen Anliegen und weiblichen Künstlerinnen zu mehr Sichtbarkeit und tragen somit langfristig zur Schließung der »Lücken« in Kunst und Kanon bei.